Am Sonntag besuchen wir meistens Onkel Karl und Tante Luise. Papas alte Tante ist ein bisschen schrullig. Beim Atmen macht sie ganz komische Geräusche. Das hört sich meistens wie „ts, ts“ an. Manchmal aber auch wie „schr, schr“. In der Wohnung riecht es immer etwas muffig, obwohl Onkel Karl seine Zigarren bei jedem Wetter im Garten rauchen muss. Und wenn wir mal ohne Ankündigung vor der Tür stehen, dann sagt sie, dass Onkel Karl nicht da ist und macht gleich die Tür wieder zu. Außerdem nennt sie uns immer „meine Mädchen“. Das finden wir doof.
Also, meine Schwester und ich mögen die Tante nicht so gerne. Wir finden sie seltsam. Aber Papa sagt, dass sie als Kind schwere Zeiten erlebt hat und nichts dafür kann, dass sie so ist. Dann sagt er noch, dass Familie eben Familie ist und wir alle lieb haben sollen, besonders dann, wenn jemand anders ist. Papa hat recht. Deshalb gehen wir immer mit. Die Tante gehört ja schließlich zur Familie. Außerdem backt sie immer total leckeren Kuchen.
Wenn der aufgegessen ist, dann gibt es ja auch noch Onkel Karl. Der ist nämlich supernett. Der erzählt immer Witze, die von anno dazumal sind und die wir nicht verstehen. Doch wir lachen trotzdem darüber, weil er beim Erzählen immer so lustige Grimassen schneidet. Und beim Abschied steckt er uns immer einen Schein zu. Klamm heimlich natürlich, damit die Tante das nicht mitbekommt.
Heute ist alles anders
Als wir heute an der Tür klingeln, öffnet Tante Luise. Sonst macht immer Onkel Karl die Tür auf. Deshalb warten wir insgeheim schon darauf, dass sie uns nicht reinlässt. Doch heute ist alles anders. Freudestrahlend sagt sie: „Kinder, schön, dass ihr da seid. Ich habe eine ganz tolle Überraschung für euch.“
So kennen wir die Tante überhaupt nicht. Deshalb schauen wir uns verdutzt an, stammeln ein „Guten Tag, Tante Luise“ und Papa gibt ihr die Blumen, die wir gestern bei einer Radtour für sie gepflückt haben.
„Das wäre doch nicht nötig gewesen. Aber nun kommt erst mal rein“, sagt Tante Luise. „Der Kaffee ist gleich fertig und für euch, meine Mädchen, koche ich Kakao. Oder mögt ihr lieber eine Limonade?“
„Wir mögen lieber Limonade. Für Kakao ist es viel zu warm!“, sagen wir einstimmig. Im Garten ist der Kaffeetisch schon unter dem Sonnenschirm gedeckt.
„Setzt euch, Kinder, setzt euch“, fordert Tante Luise uns auf.
Onkel Karl winkt uns von Weiten zu und schmökt noch schnell ein paar Züge an seiner Zigarre, bevor er sich zu uns setzt.
„Schön, dass ihr da seid. Luise ist schon den ganzen Vormittag vollkommen aus dem Häuschen“, sagt Onkel Karl.
„Warum den nur?“, fragt Papa.
„Das werdet ihr gleich sehen“, sagt Onkel Karl.
Corinna und ich kichern leise und finden das noch viel seltsamer als sonst. Tante Luise hat sicher wieder einen leckeren Kuchen gebacken. Weshalb ist sie dann so aufgekratzt? Auch wenn wir das nicht verstehen, freuen wir uns auf den Kuchen.
„Karl, kommst du mal“ ruft Tante Luise aus der Küche.
„Passt auf, jetzt kommst“, sagt Onkel Karl zu uns.
Doch alles, was kommt, ist ein Tablett mit Kaffeekanne, einem Krug Zitronenlimonade, einer große Schale Schlagsahne, ein Topf Vanilleeis und das lange Messer, mit dem immer Brot geschnitten wird. Onkel Karl setzt das Tabletts auf der Tischkante ab und stellt alles auf den Tisch. Nur nicht in die Mitte. Die bleibt frei.
Und dann kommt endlich Tante Luise aus dem Haus. Auf beiden Händen balanciert sie eine große Kuchenplatte. Von Weitem sieht es so aus, als wäre da gar nichts drauf. Als sie näher kommt sehen wir, dass da irgendetwas Flaches drauf liegt. Soll das die Überraschung sein? Die Tante ist wirklich etwas seltsam.
Tante Luises Überraschung
Auf die frei Stelle in der Mitte des Tisches stellt sie die große Kuchenplatte ab und sagt: „Das ist meine Überraschung.“
Dieses flache Etwas riecht sehr verführerisch und sieht lecker aus. Doch was ist daran so besonders?
„Kinder, das ist so eine Art Apfelkuchen. Die wird aber Apfel-Galette genannt. Das ist französisch und bedeutet runder, flacher Kuchen.
„Da wären wir ja nie drauf gekommen“, sagt Corinna etwas vorlaut.
Unter dem Tisch trete ich Corinna gegen das Schienbein und denke: „Hoffentlich trägt Tante Luise die Apfel-Galette jetzt nicht wieder ins Haus.“ Ich will diesen flachen Apfel-Kuchen nämlich unbedingt probieren. Außerdem habe ich Hunger.
Doch Tante Luise hat so gute Laune, dass sie Corinna nur milde anlächelt und beim Ausatmen wieder das „ts, ts“ macht.
Schließlich sagt sie: „Also, so etwas habe ich vorher noch nie gebacken. Ich bin ganz gespannt, wie euch das schmeckt.“
„Karl, gib mal das Messer her!“
Und dann schneidet die Tante für jeden ein Stück aus der Galette.
„Nehmt Sahne und Eis dazu. Das schmeckt fantastisch. Stimmt doch, Karl, oder?“
Onkel Karl nickt nur. Den ersten Bissen der Apfel-Galette hat er nämlich schon im Mund. Schließlich erzählt er, dass es schon die ganze Woche lang Apfel-Galette zum Kaffee gegeben hat. „Dafür könnt ich glatt auf meine Zigarren verzichten“, sagt er dann noch.
„Wenn das nur wahr wäre“, seufzt Tante Luise und macht wieder so ein komisches Geräusch. Doch diesmal hört es sich eher wie „gs, gs“.
Und dann probieren wir von der Apfel-Galette, die auf unseren Tellern liegt. Tante Luise hat recht, mit Sahne und Vanilleeis schmeckt das traumhaft. Der Teig ist knusprig und süß, die Äpfel sind weich und ein bisschen sauer. Und weil die Galette direkt aus dem Ofen kommt, ist sie noch warm, sodass das Vanilleeis schmilzt und und sich auf dem Teller verteilt. Da zeigen wir doch glatt den Daumen hoch. „Tante Luise, da hast du etwas richtig Leckeres gebacken.“
Als der große Teller in der Mitte des Tisches leer und die Galette in unseren Bäuchen verschwunden ist, sagen wir alle noch mal, dass der Tante die Überraschung gelungen ist. Schließlich wollen wir wissen, wo sie dieses tolle Rezept her hat.
Wo Tante Luise das Rezepte gefunden hat und welche Geschichte sie dazu erzählt, liest du nach dem Rezept ↓
Rezept: Apfel-Galette
Zutaten
für 1 Apfel-Galette ø 25 cm (entspricht 8 Stück Galette)
• für den Teig
- 200 g Weizenmehl
- 50 g Zucker
- 100 g kalte Butter
• für die Füllung
- 1 Zitrone
- 2 – 3 Äpfel
- 4 EL Zucker
- 1/2 TL Zimt
- 2 EL Mandelblättchen
- Puderzucker
Zubereitung
Zubereitungszeit: 30 Minuten
Teigruhe: 90 Minuten
Backzeit: 30 Minuten
- Für den Teig Mehl, Zucker, Butter und 2 – 3 EL kaltes Wasser zügig zu einem homogenen Teig verarbeiten. Den Teig zu einer flachen Scheibe formen, in ein Wachstuch einschlagen und für mindestens 1 Stunde in den Kühlschrank legen.
- Für die Füllung die Zitrone auspressen. Die Äpfel schälen, halbieren, das Kerngehäuse entfernen und die Äpfel in feine Scheiben schneiden. In eine Schüssel geben und mit dem Zitronensaft beträufeln.
- Den Teig dünn ausrollen und auf ein mit Backpapier belegtes Blech legen. Die Apfelscheiben fächerförmig auf dem Teig verteilen, dabei einen 2 – 3 cm breiten Rand frei lassen. Die Äpfel mit dem Zucker, dem Zimt und den Mandelblättchen bestreuen. Den Rand zur Mitte hin über die Äpfel klappen und etwas festdrücken.
- Die Apfel-Galette für 30 Minuten in den Kühlschrank stellen. Währenddessen den Backofen auf 200 °C Ober-/Unterhitze vorheizen.
- Die Galette aus dem Kühlschrank nehmen und im heißen Ofen etwas 30 Minuten backen. Ist sie goldbraun und knusprig, die Apfel-Galette auf ein Kuchengitter schieben und kurz abkühlen lassen. Dann den Rand optional mit etwas Puderzucker bestäuben.
- Die Apfel-Galette noch lauwarm servieren, dazu passen Vanilleeis, -sauce oder geschlagene Sahne.
Nährwertangaben/Portion
Kohlenhydrate | Eiweiß | Ballaststoffe | Fett |
---|---|---|---|
35,1 g davon Zucker: 16,9 g | 2,7 g | 1,4 g | 10,4 g |
Das Glukose-Fruktose-Verhältnis beträgt 0,36 : 1.
Meine Praxis-Tipps
- Weil ich Zimt liebe, ist mir ein halber Teelöffel für die Füllung zu wenig. Ich habe einen Teelöffel genommen.
- Es ist sinnvoll, den Teig auf dem Backpapier auszurollen. Ich habe es so wie beschrieben gemacht und hatte dann große Probleme, den dünnen Teig heile auf das Backblech zu legen.
Fortsetzung der Geschichte
„Also, das so“ beginnt die Tante. Wir lehnen uns zurück, weil wir wissen, dass jetzt eine längere Geschichte kommt. Aus Erfahrung wissen wir, dass es besser ist, Tante Luise nicht zu unterbrechen. Denn nach jeder Unterbrechung wird sie immer ausschweifender. Deshalb hören wir einfach nur zu.
„Neulich war ich beim Arzt. Ihr wisst ja, dass ich immer so ein Ziehen im rechten Bein habe. Der Arzt weiß immer noch nicht, was das ist. Ne Salbe hat er mir aufgeschrieben. Aber besser geworden ist das immer noch nicht. Wo war ich stehen geblieben? Ach ja. Ich musste lange warten, bis ich dran war. Da habe ich alle Zeitungen durchgeblättert, wie ich das immer mache. Ich seh ja die Fotos so gerne von den Reichen, wie die so leben und so. Da habe ich dann noch mal die schönen Fotos von der Krönung von Charles und Camilla gesehen. Dass ich das noch erleben durfte. Obwohl, diese Camilla sieht ja gar nicht wie eine Königin aus. Da war die Diana ja viel schöner. Also, als ich nun so die Zeitungen durchgeblättert habe, habe ich eine Seite gesehen, auf der Bücher beschrieben wurden. Eins davon war ein Buch über Äpfel. Und da dachte ich, dass ich das ja dem Karl zum Geburtstag schenken kann. Wisst ihr, unser Apfelbaum trägt nämlich gar nicht gut. Statt immer seine Zigarren zu schmöken, könnte Karl sich ja mal damit beschäftigen. Aber vielleicht mag der Apfelbaum auch keinen Zigarrenqualm. Also, ich fand das so interessant, dass ich heimlich die Seite rausgerissen habe. Dann habe ich das Buch bestellt. Als ich „Das große Buch vom Apfel“ dann bekommen habe, stand da nur wenig über die Pflege von Apfelbäumen drin. Dafür aber ganz viele Rezepte mit Äpfeln. Und eins davon ist das für die Apfel-Galette, die wir heute gegessen haben. Hat die euch geschmeckt?“
„Tante Luise, die war großartig! So eine Apfel-Galette kannst du ruhig öfters backen.“ Und dann umarmen wir alle die seltsame Tante, die immer so leckeren Kuchen backt und manchmal so komische Geräusche macht.
Einen schönen Sonntag wünscht
Inga,
die Jahreszeitenköchin
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Hinter den Kulissen
Ich hätte einfach schreiben können, dass ich dieses Galette-Rezept im „Großen Buch vom Apfel“ gefunden und nachgebacken habe. Nachdem ich den ersten Absatz bereits geschrieben hatte, tauchte die seltsame Tante in meinen Gedanken auf. Ohne zu wissen, wie sich die Geschichte entwickeln würde, habe ich einfach drauf losgeschrieben. Aber vielleicht war die Geschichte schon irgendwo in meinen Hirnwindungen vorhanden und musste nur noch aufgeschrieben werden. Ich weiß es nicht. Manchmal bin ich selber darüber überrascht, welche Wendungen meine Geschichten nehmen und wie sich die Figuren entwickeln.
Ich hoffe, du hattest Spaß beim Lesen und natürlich auch beim Nachbacken dieser absolut leckeren Apfel-Galette.
Weil ich die Galette nur für mich gebacken habe, hatte drei Tage lang etwas davon. Ich kann dir deshalb versichern, dass die Galette auch kalt köstlich ist.
Quellen
- Rezept aus “Das große Buch vom Apfel“, S. 162, Christian*
- eigene Erfahrungen